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Verständnis wächst – nach langen Jahren
Fast 70 Prozent der Deutschen aller Altersgruppen sind einer aktuellen Umfrage zufolge der Meinung, dass im Umgang miteinander und mit dem, was anderen gehört, on- wie offline die gleichen Regeln gelten sollten. Und: Stolze 60 Prozent haben Verständnis dafür, dass die Musikfirmen ihre Rechte im Netz durchzusetzen versuchen. Genauso viele befürworten übrigens ein Werbeverbot auf illegalen Seiten. Und immerhin die Hälfte der Bevölkerung findet es vertretbar, wenn der Zugang zu Websites mit illegalen Inhalten gesperrt würde. Es scheint tatsächlich, als verstünden die Menschen die Herausforderungen, vor denen die Kreativbranche steht, immer besser, je stärker die Folgen der Digitalisierung unser aller Leben durchdringen. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, mehr Zahlen aus dieser kleinen Umfrage zur digitalen Content-Nutzung finden Sie ab Mittwoch, 14.00 Uhr, im neuen "Musikindustrie in Zahlen" auf www.musikindustrie.de
Auch die Rechtsprechung bewegt sich hier durchaus auf unsere Position zu. So hat Ende Januar der BGH im Verfahren über die Haftung eines Access-Providers seine Urteilsbegründung vorgelegt. Im Verfahren waren die Rechteinhaber zwar aus ermittlungstechnischen Gründen unterlegen, doch hat der BGH hier erstmals in Deutschland anerkannt, dass Access-Provider unter bestimmten Umständen verpflichtet sind, einer Sperranordnung Folge zu leisten. Für die Diskussion über die Rolle der einzelnen Beteiligten im Verantwortungsraum Internet durchaus ein Meilenstein in einer bekanntlich lange heiß diskutierten und höchst umstrittenen Frage! Das Urteil ordnet sich ein in eine Reihe weiterer Verfahren zur Definition von Verantwortung im Netz, zum Beispiel die BGH-Entscheidungen gegen den Sharehoster RapidShare („File-Hosting-Dienst“ und „Alone in the Dark“), die seit mehreren Jahren ein wichtiger Grundstein für die Rechtsdurchsetzung im Internet ist; auf dieser Basis konnte bekanntlich eine Vielzahl von Erfolgen gegen den derzeit größten Sharehoster „Uploaded“ erzielt werden. Auch Verfahren gegen Tracker-Betreiber und Registrare sind in diesem Kontext zu nennen. Zusammen mit dem jüngsten BGH-Urteil alles wichtige Schritte zu mehr Klarheit in Bezug auf die konkrete Haftung im Netz.
Gleichwohl: Auf europäischer Ebene und mit Blick auf die Haftungsprinzipien droht diese positive Entwicklung hin zu dringend benötigter Rechtssicherheit in weiten Teilen konterkariert zu werden. Der Generalanwalt des EuGH, Maciej Szpunar, sah Mitte März in seinen vergleichsweise lapidaren und mäßig begründeten Schlussanträgen zum aktuell laufenden Verfahren die Betreiber offener WLANs in Cafés und Bars nicht in der Haftung. Damit geht er gar nicht auf die Situation der Rechteinhaber ein. Zwar muss jetzt erst einmal das Urteil des EuGH abgewartet werden. Auch wird der deutsche Gesetzgeber hier möglicherweise eigene Akzente setzen. Doch gilt es, mit Nachdruck darauf hinzuweisen: Eine Verantwortungsfreistellung im Netz birgt für Rechteinhaber stets das Risiko, dass die Durchsetzung bestehender Rechte schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. Die erheblichen ökonomischen Verwerfungen, zu denen dies in der Vergangenheit geführt hat, sind bestens bekannt. Auf diesen Umstand müssen wir auf der Basis unserer Erfahrungen hinweisen, auch und gerade weil wir die enormen Chancen einer guten Vernetzung kennen. Denn die Branche erholt sich davon nur langsam. Zwar kann man sagen, dass es um den deutschen Musikmarkt und die Musikindustrie derzeit nicht schlecht steht, denn während der physische Markt immer noch relativ stabil ist, blüht, wächst und gedeiht das Streaming prächtig. 617 Millionen Songs (Premium und werbefinanzierte Streams der Audio-Streaming-Plattformen) haben die Deutschen 2015 in einer Woche gestreamt – doppelt so viele wie 2014, eine schöne Steigerung.
Aktuell schauen wir mit Spannung auf die weiteren Entwicklungen beim Urhebervertragsrecht. Dass vom BMJV mit Blick auf das ursprünglich ins Spiel gebrachte Rückrufrecht nach fünf Jahren nachgebessert wurde, ist aus unserer Sicht zu begrüßen. Die komplexen Vertragsbeziehungen zwischen den an einer Musikproduktion Beteiligten werden in dem im März veröffentlichten Kabinettsentwurf jedoch immer noch nicht wirklich reflektiert. Es bleibt zu bedenken, dass das Urhebervertragsrecht so gesehen juristisch den Kernbereich der Beziehungen der Kreativwirtschaft regelt. Änderungen können hier erhebliche Störungen, nicht zuletzt mit Blick auf die Investitionsbereitschaft der Partner der Kreativen, bedeuten. Wir werden uns in der nun folgenden parlamentarischen Debatte weiter dafür einsetzen, dass die tatsächlichen ökonomischen Gegebenheiten und Mechanismen unserer Branche noch besser als bisher auch von der Politik verstanden werden.